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LVZ interviewt Dirk Vogel - Frühzeitige Umstellung ist ein Glücksfall für die sächsische Automobilindustrie

Die Neuausrichtung auf Elektromobilität löste bei den Zulieferern in Sachsen Skepsis aus. Inzwischen sei sie aber ein „Glücksfall für die Automobilindustrie in Sachsen und damit auch für die regionale Zulieferindustrie“, sagt Dirk Vogel, Netzwerkmanager des AMZ Sachsen (AMZ). Andreas Dunte von der Leipziger Volkszeitung (LVZ) führte ein Interview mit Dirk Vogel und veröffentlichte es am 14. November 2022.

Hier können Sie die Statements von Dirk Vogel nachlesen:

Frage Andreas Dunte: In Sachsen bauen mit Porsche, VW und BMW drei große deutsche Konzerne Automobile. Wie profitieren davon die Zulieferer?
Antwort Dirk Vogel: Die insgesamt fünf Autowerke in Sachsen sind eng mit der regionalen Zulieferindustrie verbunden. Viele der über 780 Zulieferer in Sachsen liefern direkt oder indirekt an Porsche und BMW in Leipzig sowie an Volkswagen mit dem Werk in Mosel, einem Ortsteil von Zwickau, der Gläsernen Manufaktur in Dresden und dem Motorenwerk in Chemnitz. Geliefert werden unter anderem Achsen, Cockpits, Frontends, Sitze, Fahrzeug-Himmel oder Radsätze. Auch wenn Produktentscheidungen bei den Fahrzeugherstellern nicht in Sachsen getroffen werden, so haben die Fahrzeugwerke doch eine erhebliche Auswirkung auf die Industrielandschaft in Sachsen.

Frage Andreas Dunte: Die drei Hersteller orientieren sich stark auf Elektromobilität. Ist das aus Sicht der sächsischen Zulieferer zu begrüßen?
Antwort Dirk Vogel: In die Entwicklung und Fertigung des ersten voll elektrisch angetriebenen i3 von BMW und des Hybrid-Fahrzeugs i8 waren sächsische Hochschulen, Forschungs-Einrichtungen und auch Zulieferer frühzeitig integriert. Ähnlich bei den anderen. Allerdings: Während BMW und Porsche parallel zur Verbrennertechnologie auf E-Mobilität umrüsten, hat Volkswagen das Werk in Zwickau vollständig auf die Herstellung von E-Fahrzeugen umgebaut. Das war eine nicht nur in der Zulieferindustrie sehr umstrittene Entscheidung. Der Erfolg der Fahrzeuge wurde insbesondere aufgrund der Reichweiten-Skepsis stark bezweifelt. Der Umbau beider VW-Montagelinien in den Jahren von 2019 bis 2021 war wirtschaftlich auch für die Zulieferer eine extrem schwierige Zeit. Insbesondere die Unternehmen im Landkreis Zwickau sind stark von der Fahrzeugproduktion bei VW Mosel abhängig.

Frage Andreas Dunte: Ist diese Skepsis heute immer noch vorhanden?
Antwort Dirk Vogel: Mit dem gesellschaftlichen Wandel und der damit verbundenen Neuausrichtung der Produktion auf E-Fahrzeuge erweist sich diese frühzeitige Umstellung der sächsischen Werke aus heutiger Sicht als Glücksfall für die Automobilindustrie in Sachsen und damit auch für die regionale Zulieferindustrie. Sachsens Automobilbranche zählt heute über 90 000 Beschäftigte, davon rund 20 000 bei den drei großen Autobauern. Zu beachten ist, dass dazu noch Dienstleistungsunternehmen kommen, die zwar nicht direkt die Branche beliefern, aber die Produktionsstandorte am Laufen halten, vom Werkzeugbauer bis zur Maschinenwartung.

Frage Andreas Dunte: Sie sehen den Wandel in der Branche also weniger skeptisch?
Antwort Dirk Vogel: Unser Bundesland hat in der aktuellen Transformation auch im bundesweiten Vergleich eine sehr gute Position. Sachsen blickt auf über 100 Jahre Automobilbau zurück. Aufgrund dieser Tradition sind de facto Kompetenzen über fast alle Komponenten und Teile der Fahrzeuge vorhanden – die Produktion und Entwicklung betreffend. Ganz klar, der Umbau weg vom Verbrenner hin zum E-Mobil führt zu einem drastischen Verlust von Arbeitsplätzen im Bereich von Motor- und Getriebekomponenten. Unternehmen wie die auf Antriebstechnik spezialisierte MS Powertec aus Zittau haben bereits die Region verlassen. Andererseits erfolgt ein massiver Aufbau von Arbeitsplätzen im Bereich des elektrischen Antriebsstranges und der Batterie, neue Unternehmen – wie Blackstone in Döbeln oder der bayerische Autozulieferer Dräxlmaier in Leipzig – siedeln sich an, um Batteriezellen zu fertigen.

Frage Andreas Dunte: Ist es nur die Nähe zu den Autowerken, die Zulieferer anlockt?
Antwort Dirk Vogel: Dass die regionalen Fahrzeugwerke den Fokus auf Elektrofahrzeuge legen, zählt mit Sicherheit zu den wesentlichen  Ansiedlungsentscheidung für neue Zulieferer. Zugleich ist es das Vorhandensein von automotive-affinen Arbeitskräften sowie eine automotive-erfahrene Forschungsinfrastruktur. Der stärkere Anteil elektronischer Komponenten und Funktionen im Fahrzeug bringt insbesondere immer höhere Anforderungen an Ortung und Navigation, Sensorik, Kommunikation und Komfort im Fahrzeug. Und gerade hier ist Sachsen sehr gut aufgestellt. Ich nenne nur die Halbleiterherstellung insbesondere in Dresden oder die Produktion chemischer Stoffe bei Wacker Chemie in Nünchritz. Zahlreiche andere Firmen haben sich spezialisiert auf moderne Hybrid- und Elektromobilitätslösungen, auf das autonome Fahren oder den Leichtbau. Diese Bereiche könnten den Personalabbau im Antriebsstrang zahlenmäßig auffangen. Allerdings stellen die politischen Rahmenbedingungen das größte Risiko für die Zulieferindustrie dar.

Frage Andreas Dunte: Wie meinen Sie das?
Antwort Dirk Vogel: In der Automobilindustrie sind Verträge für die Entwicklung und spätere Produktion an konkrete Fahrzeuge beziehungsweise Plattformen gebunden. Diese Verträge laufen in der Regel vier bis sieben Jahre. Für diesen Zeitraum müssen kalkulierbare Rahmenbedingungen bestehen. Die gibt es aber aktuell nicht. Neben den unkalkulierbaren Energiepreisen nenne ich nur die jährlich wechselnden Ziele bei CO2-Strafzahlungen oder die Mindestlohnsprünge. Das macht Planbarkeit in der Branche unmöglich. Dies führt zum Abwandern von Arbeitsplätzen in andere Länder mit besseren wettbewerblichen Bedingungen. Dass energieintensive Bereiche der Schwerindustrie wie Gießereien oder Schmieden ins Ausland abwandern, wird nach meiner Einschätzung völlig unterschätzt und öffentlich kaum wahrgenommen. Die Folgen können verheerend sei, denn das kann auch die Abwanderung im Werkzeug- und Formenbau und bei den damit verbundenen Engineeringdienstleistern nach sich  ziehen. Ohne dieses Umfeld stehen auch die fahrzeugbauenden Werke vor neuen Zukunftsentscheidungen – auch in Sachsen.