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Automobilwoche | Ungewissheit in Sachsen

Die ostdeutschen Standorte waren lange Aushängeschilder des VW-Konzerns. Heute machen sich die Mitarbeiter große Sorgen.

Artikel von MICHA GEBHARDT, AUTOMOBILWOCHE Nr. 13 vom 16. Juni 2025

DRESDEN. Mehr als jeder andere Volkswagen-Standort trägt die Gläserne Manufaktur die Handschrift Ferdinand Piëchs. Technisch visionär und kompromisslos, ist die Kathedrale des Automobilbaus am Rande der Dresdner Altstadt ein Spiegel des Egos eines Mannes, der – gemeinsam mit seinem Vorgänger Carl Hahn – für den Aufschwung der Automobilindustrie in Sachsen steht. Gut 20 Jahre später scheint die Messe in dieser Kathedrale gelesen zu sein. Die Zukunft der Gläsernen Manufaktur ist ungewiss. Ende 1998 stimmte der Rat der Stadt Dresden dem Verkauf des Filetstücks im Großen Garten zu, „zum Zwecke der Errichtung einer ,Gläsernen Manufaktur‘ zur Endfertigung von Personenkraftwagen des gehobenen Preissegments bei vertraglicher Sicherung einer dauerhaften, attraktiven und öffentlichen Nutzung für die gesamte Standzeit“. So heißt es im damaligen Stadtratsbeschluss, der der Automobilwoche vorliegt. Und der im Kontrast zu dem steht, was Volkswagen-CEO Oliver Blume jüngst im Automobilwoche-Interview erklärte: „Klar ist, dass wir die weitere Fertigung von Konzernprodukten in Dresden ausschließen. Aber es gibt sehr gute Überlegungen für die Zukunft.“ Wie diese aussehen, weiß außer dem VW-Vorstand und der Landesregierung in Dresden niemand. Für die Belegschaft bedeutet das vor allem eins: Ungewissheit.

Doch nicht nur die rund 300 Mitarbeiter in der Gläsernen Manufaktur sehnen sich nach einer Perspektive. 120 Kilometer westlich, in Zwickau, fragen sich knapp 10.000 VW-Mitarbeiter, wie es weitergeht.

Vorzeigestandort Zwickau

Das VW-Werk im Stadtteil Mosel gilt als Vorzeigestandort für eine gelungene Transformation. Vom Trabant zum Golf, vom Golf zur ersten Produktionsstätte im Konzern, die komplett auf Elektromobilität umgestiegen ist. In einem Kraftakt haben sie 2020/2021 sechs Modellanläufe in nur zwei Jahren gemeistert, Mitarbeiter geschult und vor allem für E-Mobilität begeistert.

Ironie des Schicksals: Während alle vom Umstieg auf Elektromobilität reden, soll in Zwickau schon bald eine der beiden Montagelinien stillgelegt werden. Aktuell fertigen die Mitarbeiter hier den ID.3 und das Schwestermodell Cupra Born, dazu den ID.4 samt dem Coupé-Ableger ID.5 und die beiden Audi-Pendants des Q4. Das VW-SUV zieht nach Emden, die Kompakten nach Wolfsburg. Bleibt der Audi-Stromer – und ein VW-Werk ohne VW. Und viele fragen sich in Zwickau, was ist, wenn der Q4 noch weggeht – ins ungarische Györ oder in die USA?

„Die Lage ist dramatisch“, sagt Thomas Knabel, Vorsitzender der IG Metall in Zwickau, und ergänzt: „Wir müssen hier Volkswagen bauen.“ Der Gewerkschafter sieht in der Entscheidung VWs, die Kapazität im Werk Zwickau zu reduzieren, eine Gefahr für die ganze Region. 800 Zulieferfirmen gibt es laut Dirk Vogel, Sprecher des Automobilzulieferernetzwerks, in Sachsen. Fast alle sind gemeinsam mit VW auf E-Mobilität umgestiegen. Die meisten davon kleine und mittelständische Unternehmen, die nicht mal eben nach Wolfsburg ziehen können. 20.000 Jobs, so Vogel, hängen direkt vom Werk ab. Insgesamt bietet die Autoindustrie 60.000 Menschen in Westsachsen Arbeit. Gewerkschafter Knabel appelliert an VW-Chef Blume, Verantwortung für die Region zu übernehmen und den Standort mit einem weiteren Produkt auszulasten.

Dem stimmt auch Constance Arndt zu, Bürgermeisterin von Zwickau. Sie sagt: „120.000 Autos sind ein Tod auf Raten.“ Die Produktion müsse höher sein oder der Standort sich komplett wandeln. Immerhin: Gerade wird diskutiert, ob zumindest der Cupra in Zwickau bleibt. Das rechtfertigt keine zweite Linie, bringt aber mit rund 40.000 Einheiten pro Jahr mehr Arbeit in die Region. Außerdem sei die Einrüstung der SSP, Volkswagens neuer Zukunftsplattform, festgeschrieben. Anders als beim Modularer E-Antriebs-Baukasten (MEB) wird Zwickau aber nicht weltweiter Typführer werden. Das macht Wolfsburg künftig selbst.

Um nachhaltig erfolgreich zu sein, braucht es – wieder einmal – eine Transformation. Sachsen sei derzeit „Abarbeitungsstandort“, sagt Knabel von der IG Metall. Entscheidend sei, dass die Region jetzt auch Entwicklungskompetenz aufbaue. Etwas, das beim Umstieg auf die Elektromobilität vielleicht versäumt wurde.

Den größten Kompetenzaufbau hatte damals das Volkswagen-eigene Bildungsinstitut geschafft, das seit 2018 zum Großteil VW-Mitarbeiter, aber auch die Beschäftigten von Zulieferern unter anderem in E-Mobilität aus- und weiterbildet. Die Schüler, Studenten und Azubis lernen hier, was sie bei der täglichen Arbeit brauchen.

Es fehlt an Forschung

Was fehlt, ist die Verbindung zu den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Unternehmen, beklagt Karsten Schulze. Der Ex-IAV-Mann arbeitet seit 2017 mit seinem Start-up FDTech und rund 130 Beschäftigten am autonomen Fahren – in Chemnitz. Auch er fordert: „Wir brauchen F&E-Standorte in Ostdeutschland für eine nachhaltige Entwicklung“. Die Region sei mehr als andere transformationsfähig und -willig, ist er sich sicher und verweist auf die hervorragende Forschungsstruktur.

Eine Chance, die auch die VW-Standorte ergreifen wollen. ergreifen wollen. Das Werk Zwickau bemüht sich dem Vernehmen nach darum, führend beim Thema Circular Economy zu werden, und verfolgt neben dem Recycling alter Fahrzeuge auch Re-Use-Ansätze. Ähnlich dem Refurbished-Prinzip, das man von Smartphones kennt, könnte es künftig rundumerneuerte Autos geben. Das Komponentenwerk Chemnitz wiederum, das heute vor allem Verbrennungsmotoren baut, sieht seine Zukunft unter anderem im Thermomanagement. Ein entscheidendes Bauteil in Elektrofahrzeugen, das die Mitarbeiter in Sachsen aber nicht nur fertigen, sondern auch verbessern wollen.

Danny Auerswald, Geschäftsführer der bis zur Eingliederung in die Volkswagen AG 2027 noch eigenständigen Volkswagen Sachsen GmbH, sagt: „Chancen und Risiken halten sich die Waage.“ Natürlich muss der Manager die Vorgaben aus Wolfsburg erfüllen. „Neue Fahrzeuge wird es für Zwickau nur geben, wenn wir unsere Ziele erreichen.“ Die sind klar: Die Kosten müssen runter. Bei 3500 Euro pro Fahrzeug soll die magische Marke liegen, heißt es aus Konzernkreisen. Aktuell sollen es in Zwickau rund 1500 Euro mehr sein. In Dresden ist von 8000 Euro pro Auto die Rede.

Dass das zu viel ist, stellt niemand infrage. Zumal VW in seinem teuersten Werk in Dresden mit dem ID.3 eines der günstigsten Autos baut. Eine Absurdität, die so nie geplant war. Piëch hat die Gläserne Manufaktur für sein Prestigeprojekt gebaut, das Oberklassemodell Phaeton. Der Dieselskandal hat dessen zweiter Generation den Garaus gemacht.

„Seit 2015 weiß im Grunde keiner hier, wie’s weitergeht“, beklagt der Dresdner Betriebsrat Thomas Aehlig. Er fordert: „Dresden braucht wieder ein Premiumprodukt“ – und bringt die Lamborghini-Fertigung ins Spiel. Das sichere auch die Attraktivität für Besucher, denn: Die Gläserne Manufaktur ist mehr als ein Werk. Jährlich kommen 120.000 Menschen, schauen sich die Produktion an, fahren E-Autos Probe. Während in die Autostadt nach Wolfsburg vor allem diejenigen kommen, die ihr Auto abholen, erreicht die Marke hier internationale Dresden-Besucher, die noch keinen VW bestellt haben. Bis zu 60 Millionen Euro jährlich soll der Marketingwert betragen.

TU Dresden als Partner?

Der Betriebsrat moniert, dass sich Blume in seiner CEO-Zeit bislang nicht in Dresden blicken ließ – wie an keinem der drei sächsischen VW-Standorte. Und dass die Belegschaft im Dunkeln tappe, die Gespräche über die Zukunft hinter verschlossenen Türen erfolgten. Zuletzt trafen sich Vorstand, Politik und TU Dresden als möglicher Partner vergangene Woche. Ergebnisse? Noch keine offiziellen. Dresden, so hört man, bleibe Auslieferungsstandort und könnte zentral für Forschung und Erprobung werden. Auch hier ist von Circular Economy die Rede. Vielleicht können die Besucher bald in Dresden erleben, wie Autos zerlegt werden.

 

Quelle Titelbild: iStock, Tramino